Wie würge ich richtig? Kampfsporttechniken
Hallo an alle,
heute geht es um ein eher ungewöhnliches Thema für einen Schreibblog: das (Er-)würgen.
In meinem Buch wird an einigen Stellen gekämpft, und zwar nicht nur mit Magie. Dabei werden Nahkampftechniken angewendet, die vielleicht nicht allen meinen Leser_innen vertraut sind. Da eine bestimmte Würgeattacke mehrfach in meinem Buch vorkommt, gibt es hier eine kurze Erklärung dazu, wie das Ganze funktioniert.
Klara schlang ihren rechten Arm um seine Kehle, so dass sein Adamsapfel in ihrer Ellenbogenbeuge zu ruhen kam. Mit der Hand fasste sie auf ihre linke Schulter und klemmte so seinen Hals ein. Ihren Kopf schob sie seitlich neben seinen, so nah, dass ihre Lippen beinahe seinen Hals berührten.
Sie sog seinen Duft ein.
Wieder durchflutete sie die warme Welle der Erregung, aber auch dieses Mal drängte sie das Gefühl weg.
»Ihr ach so begabten adeligen Magier:innen neigt dazu, eine Sache zu vergessen«, flüsterte sie, beinahe zärtlich, in sein Ohr, während sie ihren linken Arm hinter seinen Nacken fädelte, »auch ihr müsst atmen.« Sie zog die Schlinge zu.
[ Aus: “Der Elbische Patient” ]
Ich spreche hier vom “Rear Naked Choke”, einer Würgetechnik aus dem (Brazilian-) Jiu Jitsu, die vom Rücken des Gegners aus durchgeführt wird. Das Wort “nackt” (naked) deutet darauf hin, dass dieser Griff im Gegensatz zu anderen Würgetechniken nicht wie bei vielen Kampfsporttechniken die Verwendung eines Gis („Judoanzug“) oder sonstigen Kleidungsstücken erfordert.
Hintergrund zu Würgetechniken
Bei Würgegriffen unterscheidet man zwischen „Blutwürgen“ und „Luftwürgen“.
Zu letzterem gehört das, was wir z.B. von Darth Vader kennen: der wütende dunkle Lord umschließt (magisch) mit seinen Fingern den Hals seines Opfers und (zer)quetscht dabei Kehlkopf und Luftröhre. Durch die Blockade der Luftröhre kann die gewürgte Person nicht mehr atmen; nach einiger Zeit sinkt der Sauerstoffgehalt des Blutes signifikant und Bewusstlosigkeit tritt auf.
Bei Darth Vader sieht das ziemlich „effektiv“ aus, allerdings funktioniert diese Art zu würgen nur, wenn die gewürgte Person schwächer, kleiner oder unerfahrener ist, als die attackierende, da eine stärkere Person sich aus dem Griff herauswinden und weglaufen oder die Angreifer:in mit Tritten und Schlägen überwältigen könnte. Auch dauert es verhältnismäßig lange, bis diese Würge anschlägt, da ja erst der Sauerstoffgehalt des Blutes absinken muss. Für die gewürgte Person ist diese Technik äußerst schmerzhaft und der Kehlkopf kann dauerhaft beschädigt werden.
Blutwürge
Eine Blutwürge verschließt die Halsschlagadern und unterbricht so den Blutfluss zum Gehirn (zumindest ist das die landläufige Meinung, es gibt noch eine andere Theorie, siehe unten). Zuerst werden die Venen, die oberflächlicher liegen (Vena jugularis interna und externa) durch den Griff verengt, und der Rückfluss des Blutes zum Herzen vermindert. Die gewürgte Person fühlt ein “Pochen” in den Schläfen und das Gesicht rötet sich. Wird der Griff verstärkt, wird auch die Halsschlagader (Carotis) verengt, der Blutfluss zum Gehirn fällt unter ein kritisches Level, und die Ohnmacht tritt ein. Schmerzen verursacht diese Art von Würge kaum.
Es gibt auch eine Theorie, dass die Ohnmacht dadurch zu Stande kommt, dass durch die Würge die Druckrezeptoren der Halsschlagader anschlagen (weil es so wirkt, als wäre der Blutdruck erhöht) und ein Signal an das Gehirn und das Herz über den Vagusnerv senden. Dieses Signal weist das Herz an, das Blutvolumen pro Herzschlag zu reduzieren und gleichzeitig werden die Blutgefäße erweitert, um den hohen Druck abzubauen. Da aber in Wirklichkeit kein Blutdruckanstieg stattgefunden hat, führt diese Reaktion zu einem dramatischen Abfall des Blutdrucks im Gehirn, die dann den Bewusstseinsverlust verursacht.
Bislang ist noch unklar, welche der beiden Effekte nun wirklich zur Ohnmacht führt. Klar ist: bei einer korrekt angewendeten Technik fällt die gewürgte Person innerhalb von wenigen Sekunden in Ohnmacht.

Warnung
Beide Arten von Würgetechniken führen zum irreparablen Hirnschäden und sogar zum Tod, wenn nicht rechtzeitig losgelassen wird. Auch können Verletzungen (bei beiden beteiligten) entstehen, wenn die gewürgte Person in Ohnmacht fällt und nicht korrekt aufgefangen wird — und das geschieht schneller, als einem bewusst sein kann! Daher sollten Würgetechniken (gerade von Anfänger:innen) nur unter Aufsicht einer fähigen Trainer:in geübt werden.
Hier ein paar Hinweise eines erfahrenen Trainers dazu: https://canyoufight.blogspot.com/2012/04/dangers-of-rear-naked-choke.html
Besonders wichtig: hört auf Eure Trainingspartner:innen! Im Kampfsport muss eine Attacke sofort beendet werden, wenn die Partner:in mit der Hand abklopft –alles andere ist Körperverletzung!
Ausführung des Rear Naked Chokes
Der RNC (rear naked choke) wird vom Rücken der Gegner_in aus durchgeführt. Dabei kann die angreifende Person auf dem Rücken der stehenden Gegner_in springen, oder unter oder auf der Gegner_in liegen; aus allen diesen Positionen heraus lässt sich die Würge effektiv durchführen. Wichtig ist nur, dass die Angreifende sich an der Gegner_in festklammert damit sie nicht abgeschüttelt werden kann. Das erreicht sie, indem sie z.B. ihre Füße in die Innenseite der Schenkel der Gegner_in hakt (im BJJ sagt man dazu „die Hooks setzen“)
Der rechte Arm der Angreifer:in umschließt den Hals der Person vor sich, sodass sich die Luftröhre der Gegner_in in der Ellenbogenbeuge befindet. Mit der Hand des umschließenden Arms greift die Würgende den eigenen linken Oberarm oder Schulter.
Die linke Hand wird hinter den Kopf der Gewürgten gelegt oder fasst die eigene rechte Schulter. Die Ellenbogen werden dann so zusammengeführt, dass seitlicher Druck, von Bizeps und Speichenknochen, auf den Hals auf beiden Seiten ausgeübt wird. Je enger die angreifende Person sich von hinten an die Gegner_in schmiegt, desto effizienter ist die Technik (da dadurch die letzten „Lücken“ geschlossen werden). Mein Kampfsporttrainer nennt das übrigens auch „Kuscheln“.

Der Vorteil von dieser Technik ist, dass auch Menschen mit wenig Kraft und Masse eine Chance haben, ihre Gegner_innen kampfunfähig zu machen: Die Angreifer_in ist dadurch, dass die Technik von hinten ausgeführt wird, vor Schlägen und Tritten der Gegner_in geschützt und für den Blutstau kommt es mehr auf eine saubere Technik, als auf Körperkraft an.
Hier gibt es ein Video dazu:
Funktioniert das auch in einem echten Kampf?
Definitiv, laut einer Statistik (http://www.ufc-secrets.com/top-10-submission-statistics-data-from-ufc-mma-events/) wurden 36% aller MMA Kämpfe (also Kämpfe, in denen Treten, Schlagen, Würgen, Werfen, Hebeln etc (also fast alles!) erlaubt ist) durch Rear Naked Chokes gewonnen. Falls Ihr mal in das Vergnügen kommt, einen MMA Kampf auf Youtube oder sonstwo zu sehen: dort geht es hart zu, die Kämpfe werden kaum durch starres Regelwerk beeinflusst, somit ist das, was dort erfolgreich ist, mit großer Wahrscheinlichkeit auch eine effiziente Selbstverteidigungstechnik.

Vielleicht noch etwas zu meinem Hintergrund: Ich bin keine professionelle Kämpferin (und auch weit davon entfernt!) aber ich habe 9 Jahre Kickboxen trainiert und auch an einigen Turnieren teilgenommen (das bedeutsamste war die deutsche Meisterschaft, wo ich allerdings heroisch fertiggemacht wurde *lach*). Seit 5 Jahren lerne ich Brazilian Jiu Jitsu (eine dem Judo ähnliche Kampfsportart, die den Fokus darauf legt, dass auch kleinere und schwächere Menschen stärkere Gegner:innen dominieren können, indem diese große Muskelgruppen wie den Hüftbeuger gegen schwächere der Gegner:innen (z.B. Arme) benutzen). Auch trainiere ich MMA (was sozusagen wie eine Synthese aus Jiu Jitsu und Kickboxen ist). Ich habe selbst schon einige Leute auf diese Art und Weise gewürgt (auf der Matte, nicht im Alltag!!), und wurde im Gegenzug oft gewürgt, daher habe ich eine gute Vorstellung davon, wie sich das Ganze anfühlt und was dabei zu beachten ist.
Behinderung und Kampfsport?
Ich werde oft von meinen Lesenden gefragt, ob eine wie Klara, die nur auf einem Auge sieht, wirklich so kämpfen kann, wie sie es im Buch tut.
Meine Antwort: ein klares JA!
Eventuell wäre sie mit 2 sehenden Augen besser, aber auch mit nur einem Auge kann viel kompensiert werden (das weiß ich aus eigener Erfahrung, weil mir auch die Sehkraft eines Auges fehlt!)

Quelle: Von Jimfbleak, McSush, H. de Groot – de:File:Fieldofview-pigeon-owl.svg, de:File:Fieldofview01.png, Copyrighted free use, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=46414379
Mit nur einem Auge ist das Gesichtsfeld kleiner, man kann nicht dreidimensional sehen, und Abstände lassen sich schwieriger einschätzen. Allerdings kann man von den Wüstenrennmäusen lernen. Diese sind Fluchttiere und setzen daher auf Rundumsicht, um gefährliche Raubtiere ständig im Auge zu behalten. Daher ist ihr Gesichtsfeld riesig, der Bereich, in dem binokulares Sehen stattfindet (in dem also faktisch in 3D gesehen wird), ist aber quasi nicht vorhanden. Wüstenrennmäuse können dennoch Abstände einschätzen, indem sie leicht mit dem Kopf wackeln: alles was näher ist, wackelt stärker mit als fernere Gegenstände (das kann die geneigte Leser_in ausprobieren, indem sie sich einen Finger vor die Nase hält und den Kopf schüttelt). Genau diese Technik hilft einäugigen Menschen z.B. beim Fahrradfahren, um zu erkennen, ob der Laternenpfahl vor ihnen schon fast in Kollisionsnähe steht und sie langsam mal nach links oder rechts ausweichen müssten.
Auch lassen sich Abstände durch Erfahrungswerte einschätzen: “der Volleyball ist normalerweise so und so groß, nun wirkt er so klein, als muss er so und so weit weg sein”.
Diese Techniken hören sich umständlich an, sie lassen sich aber mit der Zeit und Erfahrung automatisieren und werden von der einäugigen Person dann unbewusst durchgeführt. Ich merke in meinem Alltag so gut wie nie, dass mir ein Auge fehlt (ganz im Gegensatz zur Schwerhörigkeit, die mich sozial weitaus stärker einschränkt!).
Gerade beim extrem körpernahen Brazilian Jiu Jitsu kommt es weniger darauf an, Abstände einzuschätzen (um z.B. präzise Schläge zu setzen oder im richtigen Winkel zu blocken), sondern darauf, zu “spüren” was die Gegner_in gerade tut. Man kann seine Augen nicht überall haben — oft sind es Kleinigkeiten, wie eine kurze Gewichtsverlagerung der Gegner:in, die anzeigen, was diese plant.
Eine beliebte Übung fürs Sparring (dem Trainingskampf) ist daher, mit geschlossenen Augen zu kämpfen, um sich ganz auf die subtilen Körpersignale der Gegner_in einzulassen.
Daher: Behinderungen schränken nicht (nur) ein, sie bringen Menschen auch dazu, Dinge anders zu lösen, was ungeahnte, neue Möglichkeiten eröffnet. Das kann sogar zum Vorteil für die behinderte Person sein, da ihr Kampfstil verwirrend auf die Gegner_in wirkt, da diese sich an bestimmte Verhaltensweisen im Kampf gewöhnt hat.
Bild von mohamed Hassan auf Pixabay